Gestern ist der DSAG Jahreskongress 2016 in Nürnberg zuende gegangen. Die DSAG ist die weltgrößte Anwendervereinigung der SAP und der jährliche Jahreskongress das jährliche Highlight.
Mit ca. 4500 Besuchern aus den deutschsprachigen Ländern (D-A-CH) wurde wieder einmal ein Rekord gebrochen und allein die Zahl ist für einen geschlossenen Kongress beeindruckend. Auch in den sozialen Medien war dieser Jahreskongress zu spüren (z.B. bei Twitter unter dem Hashtag #dsagjk16).
Dieses Jahr stand der Kongress unter dem Titel “Business Transformation – aus der Steckdose?”. In diesem Blog will ich versuchen, die für mich wichtigsten Erkenntnisse zur “Digitalen Transformation” zusammen zu tragen und vielleicht in eine verständlichere Form zu bringen.
Obwohl der Kongresstitel die Wörter “Business Transformation” verwendet, gesprochen wurde dann hauptsächlich über die “Digitale Transformation”, die uns alle überrollen wird…sagen die, die daraus in irgendeiner Form profitieren wollen. In der IT wurden und werden schon immer Themen aufgebauscht, um sowas wie Software, Hardware oder Beratung loszuwerden. Manche Themen verschwinden dann genau so schnell wieder wie sie gekommen sind.
Quizfrage: Wer erinnert sich noch an “Second Live“?
Damals hatten einige namhafte Unternehmen durchaus vor, irgendwo irgendwie ganz vorn dabei zu sein. Zum Glück vergisst das Internet nichts und man findet noch das ein oder andere heute eher peinliche Whitepaper.
Wie ist das nun mit der “Digitalen Transformation”?
Ich muss zugeben, dass ich vor dem Kongress darüber sehr viel und nichts gesagt hätte. Der Begriff allein ist nicht wirklich greifbar und wird von unterschiedlicher Seite auch sehr unterschiedlich interpretiert. Selbst unsere deutsche Regierung hält jetzt Daten für sehr wichtig und will “entsprechende Maßnahmen” ergreifen. Big Data und andere Begriffe werden im selben Atemzug genannt und alles ist irgendwie gerade sehr wichtig.
Also was ist dran?
Jeder wird zugeben, dass sich bestimmte Dinge in unserem Leben in den letzten Jahren rasant verändert haben. Mit dem Einzug der Smartphones in unser Leben haben sich auch unsere Gewohnheiten verändert. Und ja, das Internet und die mobile Nutzung des Internets spielt eine zunehmend größere Rolle. Besonders bisher unbekannte Unternehmen aus dem Silicon Valley werden fast über Nacht bekannt, riesengroß und oft auch zur Gefahr für gestandene Branchen. Sie schießen auf alles, was nicht schnell genug weg rennen kann, bekommen dafür unvorstellbare Summen von Investoren und eine enorme Aufmerksamkeit der Medien und der Börse.
Allerdings hört man natürlich nur die positiven Nachrichten. Weniger Aufmerksamkeit bekommen solche Ereignisse, wenn ein “Schuss” mal daneben geht und das abgebene Startup danach nicht mehr existiert oder wenn selbst die großen Unternehmen wie Google verschiedene “Ideen” wegen verfehlter (monetärer) Ziele wieder einstellen.
Auch Kritik gibt es in dieser Welt eher nicht. Kritische Stimmen werden beispielsweise bei Apple bis in die sozialen Medien bekämpft (Heise News zur Softwarequalität). Apple scheint Hundertschaften zu beschäftigen, die das Äußern von Kritik in den Medien zum Spießrutenlauf machen. Es ist sehr selten, dass auch mal andere Informationen wie diese nach außen dringen und einen – zumindest für mich – glaubwürdigeren Blick in das Innenleben der gehypten Firmen zulassen.
Zurück zur Digitalen Transformation und zum DSAG Jahreskongress. Die Beantwortung der Frage des Kongresstitels ist (hergeleitet aus den Keynotes des DSAG Vorstands):
Es gibt keine Business Transformation aus der Steckdose. Es gibt aber Unternehmen und Branchen, die sich sehr schnell und sehr grundlegend an veränderte Marktverhältnisse bzw. Kundenverhalten anpassen müssen. Aber eben nicht alle und vor allem nicht immer so radikal, wie man es manchmal so hört. In welche Gruppe man gehört und wie man reagieren sollte…genau das ist die Kunst, die man nicht (aus der Steckdose) geschenkt bekommt und die dann über Gewinner und Verlierer entscheidet.
Mit dem Aufkommen des eCommerce hat man dem Einzelhandel auch den Untergang vorhergesagt. Und wo stehen wir heute?: Es hat einige Bereiche erwischt, andere aber eben nicht. In vielen Unternehmen macht der Umsatz im eCommerce nur wenige Prozent vom Gesamt aus. Aber trotzdem ist dann eCommerce ein wichtiger und notwendiger Kanal zum Kunden, der oft auch (langsam) wächst.
Ein Beispiel für akut betroffene Unternehmen vom Kongress war die Branche “Energieversorger”. Dort ist allein der Preisverfall (2011 60€ heute 20€ für die gleiche Abnahmemenge) der Treiber der Veränderung. Es ist konkret absehbar, wann die Erzeugung und Verteilung von Energie die Kosten nicht mehr decken wird. Politische Entwicklungen wie der Ausstieg aus der Atomkraft und technologische “Lücken” wie fehlende Speichermöglichkeiten von überschüssiger Energie haben diese Entwicklung noch beschleunigt.
Also was machen die betroffenen Unternehmen?
Der Sprecher der BKW hat es seinem Kongressvortrag in etwa so ausgedrückt: “es bleibt kein Stein auf dem anderen”. Das klassische Geschäftsmodell muss natürlich so gut wie möglich und mit geringeren Kosten weiter betrieben werden. Parallel müssen schnellstmöglich alternative Geschäftsmodelle gefunden und aufgebaut werden. Ein Patentrezept gibt es dafür nicht und viel Zeit bleibt nicht mehr. Um zu Überleben, müssen Unternehmen der gleichen Branche zukünftig enger zusammen arbeiten.
Es kann sogar nötig sein, dass Branchen zusammen arbeiten müssen, um zu überleben. Für das Beispiel der Energieversorger wäre ein Zusammengehen mit der – inzwischen ebenfalls angeschlagenen – Automobilbranche vorstellbar. Der Dieselskandal hat den Trend zum Elektromobil etwas beschleunigt und auch hier könnte sich das Karusell der führenden Unternehmen etwas schneller drehen. Angenommen, beide Branchen finden ein Modell der Zusammenarbeit, ist die Mineralölindustrie vielleicht die nächste Branche, die sich neu erfinden muss?!
Zurück zur Digitalen Transformation: Um diese schnellen Veränderungen meistern zu können, muss die IT dies auch zulassen. Im Managementdeutsch: die IT ist der “Enabler” der Digitalen Transformation. Mit meinen Worten ausgedrückt: die Unternehmen können sich das Aufhalten mit IT Problemen nicht mehr länger leisten. Also werden Softwarelösungen, für die man monatelange Einführungsprojekte zu akzeptieren hat, die aus Kosten/Nutzen-Sicht gewisse Herausforderungen mit sich bringen und dann auch noch unflexibel für Veränderungen ist, wahrscheinlich zukünftig ebenfalls “digital wegtransformiert”.
Nicht die besten Voraussetzungen für die SAP Software?!
Die Teilnehmer des Kongresses sehen in der SAP mehrheitlich weiterhin einen wichtigen Partner. Besonders die Entwicklung der HANA Technologien und des Nachfolgers der Business Suite – S4/HANA – wird aufmerksam beobachtet. Aber es gab auch deutliche Kritik.
Die Keynotes des DSAG Vorstands brachten einige Dinge auf den Punkt, was die SAP Kunden beschäftigt. Die wichtigsten Punkte – aus Sicht des Autors – sind:
- Die meisten Einnahmen der SAP stammen von den Bestandskunden der Business Suite
- SAP entwickelt allerdings die Business Suite kaum noch (spürbar) weiter, obwohl an vielen Stellen Bedarf besteht und das Wartungsende (derzeit) erst 2025 ist
- Dafür werden andere Produkte und Funktionen entwickelt, die nicht unbedingt den Erwartungen der (Bestands)Kunden entsprechen
- Neue Produkte wie S4/HANA weisen noch viele funktionale Lücken auf, so dass ein – vielleicht dringend notwendiger Umstieg – zum Wagnis wird
- Andere SAP Lösungen stehen sogar zueinander in Konkurrenz bzw. man muss verschiedene Lösungen kombinieren, um einen Prozess komplett abbilden zu können
- Es besteht hier ein großer Informationsbedarf aus Sicht von Prozessen, Funktionen und Kosten
Wer meiner Darstellung nicht folgen möchte, kann sich gern die Keynotes als Präsentation oder die entsprechenden Vorträge auf Youtube anschauen.
Natürlich wird die hier angesprochene Kritik an der Vernachlässigung der älteren Lösungen und Bevorzugung der neuen Lösungen nicht weltweit geteilt werden. Das liegt aber daran, dass in den etwas jüngeren Märkten wie Amerika die Kunden gleich auf die neuen Produkte gehen (konnten) und beispielsweise eine viel positivere Einstellung gegenüber Mietlösungen (Cloud) haben. Auf dem alten Kontinent und vor allem in Deutschland sitzen aber die Kunden, die entscheidend zum heutigen Erfolg der SAP beigetragen haben. Diese haben dann meistens die erfolgreiche Business Suite im Einsatz, eine mehrjährige Historie, viel Erfahrung und Ansprüche an Prozesse und Funktionen.
Ein Dauerbrenner und bei diesem Kongress wieder thematisiert ist das Lizenzthema. Zum einen gibt es eine unterschiedliche Erwartungshaltungen mit dem Aufkommen von Cloud-Produkten und der Vorstellung der SAP, was diese dann kosten sollen. Aus Sicht der Bestandskunden, die aus ihrer Sicht nur auf die Cloud ausweichen müssen, weil SAP gewünschte Funktionalität nicht in den bisher eingesetzten Kernprodukten bietet, gibt es hier natürlich Differenzen.
Zum anderen ist mal wieder das Thema “Indirekte Nutzung” auf dem Tisch. Von indirekter Nutzung spricht die SAP immer dann, wenn Fremdlösungen auf SAP Systeme zugreifen. Dass dieses Thema durchaus schon etwas älter ist, beweist dieser Artikel der Computerwoche aus dem Jahre 2003. Es ist eigentlich tragisch, dass dieses Thema bis heute nicht geklärt ist und viele Kunden wissentlich oder unwissentlich in einer rechtlichen Grauzone arbeiten müssen.
Neu an der Diskussion rund um die indirekte Nutzung ist die Forderung der SAP, selbst für Eigenentwicklungen oder installierte Partnerlösungen unter Umständen mit zusätzlichen Lizenzforderungen (nach Jahren!) konfrontiert werden zu können. Wir reden hier über Szenarien, wo zum Zeitpunkt X die SAP eine gewünschte Funktion nicht bieten konnte und man diese Lücke durch interne oder externe Zusatzentwicklung geschlossen hat. Unvorstellbar?!
Prinzipiell ist beispielsweise jeder Einsatz eines Internetshops bereits bedenklich. Ein Shop, der nicht auf das – meiner Meinung nach völlig zu recht – führende SAP System zugreifen darf bzw. unfaire Lizenzbedingungen den Einsatz verhindern? In Zeiten der digitalen Transformation, Multi Channel, User Experience usw. eigentlich undenkbar?! Es gibt natürlich einen Ausweg: die Software der SAP verwenden…
Es gibt inzwischen sogar brauchbare SAP Lösungen. Aber ob sich die (aktuellen) Kosten für einen Mittelständler oder noch kleineres Unternehmen wirklich rechnen, steht auf einem anderen Blatt. Vor nicht allzu langer Zeit gab es diese brauchbaren Lösungen der SAP vielleicht noch nicht, dafür aber attraktive Lösungen von Marktbegleitern (im eCommerce) oder sogar OpenSource Software. Ist das dann eigentlich schon Ausnutzung von Marktmacht und damit ein Fall für ganz andere Gremien?
Mit anderen Augen betrachtet ist diese Vorgehensweise sehr gefährlich für kleine und mittlere Unternehmen. Entweder sie verhalten sich nicht regelkonform oder sie werden vom technischen Fortschritt ausgeschlossen. SAP als Innovationskiller? Das wird sogar die SAP nicht gern hören wollen.
Die DSAG ist derzeit mit der SAP in Verhandlungen, was das Thema Lizenzen angeht. Es ist wirklich allen Beteiligten nur zu wünschen, dass man sich hier einigt und faire transparente Bedingungen schafft. Sonst klappt das nicht mit der Digitalen Transformation. Und mal ehrlich: was nützen uns offene und einfache Schnittstellen, wenn diese aus Kosten/Nutzen-Sicht nicht verwendet werden können.
Eine Definition für die Digitale Transformation, die ich durch den Kongress für mich gefunden habe und die ich wahrscheinlich auch eine Weile verwenden werde, ist: “was bisher analog und manuell war, wird zukünftig digital und automatisiert…und manchmal auch radikal anders”. Was man daraus macht, muss jedes Unternehmen für sich entscheiden.
Aus einer kundenorientierten Sicht würde man sich beispielsweise die Prozesse mit seinen Kunden anschauen und die bisher langwierigen und fehleranfälligen manuellen Prozesse (z.B. Flurfunk, Zettel, Email) durch standardisierte elektronische Vorgänge ersetzen. Das könnte man dann beispielsweise durch CRM Software erreichen und ist nicht wirklich neu. Aber Vorsicht: CRM Software ist noch lange keine CRM Strategie oder Philosophie. Und vielleicht sind die bisherigen Prozesse auch nicht die Richtigen?
Big Data ist ein weiteres Thema, was mit der Digitalen Transformation in Verbindung gebracht wird. Unbestritten die In-Memory-Technologie, allen voran die SAP mit HANA, eine wichtige Errungenschaft mit viel Potenzial. Aber allein das Sammeln und schnelle Auswerten von Datenbergen muss noch kein spürbarer Vorteil und schon gar nicht das sein, was man sich von der Digitalen Transformation erhofft.
In den meisten Unternehmen werden noch nicht einmal die vorhandenen Daten sinnvoll verarbeitet. Also könnte man die aktuelle Diskussion auch erst einmal zum Anlass nehmen, das Potenzial der vorhandenen Daten zu erkennen und auszunutzen. Wahrscheinlich wird man dann darüber stolpern, dass hierfür erst einmal die notwendige Datenqualität geschaffen werden muss. Dann reden wir aber erst einmal über Tools zur Datenqualitätserhöhung und -analyse und nicht über neue dicke Datenberge…
Aber es gibt natürlich auch Industrien, die bisher mit “dummen” Objekten gearbeitet haben. Auf einmal wird diesen Objekten etwas “Schlauheit” mitgegeben, sie werden durch ein bisschen bezahlbare Elektronik “intelligenter” und eröffnen vielleicht genau dadurch neue Möglichkeiten. Diese auch “smart” genannten Objekte können zukünftig Kühlschränke, Autos, Mähdrescher, Häuser o.a. sein. Tatsächlich fallen dann neue und meistens auch sehr große Datenmengen an. Ob die dann irgendwelche Erkenntnisse und ggf. neue Geschäftsmodelle ergeben, dass wird die Zeit bringen. Die Technik dahinter ermöglicht uns erst einmal nur, dass wir heute überhaupt nach solchen Potenzialen suchen dürfen. Vorausgesetzt, die gesetzlichen Regelungen wie der Datenschutz erlauben uns das.
Zurück zum Beispiel der Energieversorger. Hier wird tatsächlich eine komplette Branche überrollt und es muss schnell eine Lösung her. Die Digitalisierung bisher analoger Prozesse kann zur Kostensenkung beitragen. Für die Vernetzung zwischen Unternehmen und Branchen und dem Aufbau neuer Geschäftsmodelle ist eine verlässliche und flexible IT Infrastruktur notwendig. SAP kann dafür eine führende Rolle einnehmen. Aber bitte mit kurzen Einführungszeiten, beherrschbarer Komplexität und auch im Mittelstand bezahlbar.
Das war es zum Thema DSAG Jahreskongress und zur Digitalen Transformation. Ich hoffe, der Beitrag konnte etwas zur Unterhaltung und zur Information beitragen.
Tun Sie das Richtige und tun Sie es schnell! Viel Erfolg.